Meine Suppe ess‘ ich nicht!

© Petra Öllinger

Erschienen in „an.schläge – das feministische Magazin, November 2002.

Mit eiserner Disziplin, zwischen Body-Mass-Index, JoJo-Effekt, Hungerkuren und Formula-Pulver-Pampe, widmet sich Petra Öllinger dem Diätwahnsinn.

Wie viele Kalorien hat ein Apfel? Kaum eine Frau, die darauf nicht die Antwort kennt – ich befinde mich in bester Gesellschaft. Roh, ungeschält, ca. 125 Gramm schwer, hat er zwischen 65 und 75 Kalorien. Unabhängig davon, ob es sich um eine Bio-Ausgabe oder um chemisch umsorgtes Obst handelt, ob der Apfel viel Sonne abbekommen hat oder ein Schattendasein fristete. Vitamingehalt, Wasseranteil etc. lassen sich aus der Energieangabe allein nicht erkennen. Trotzdem: Kalorientabellen sind für viele Frauen der erhobene Zeigefinger, der sie ermahnt, ja nicht auf die Idee zu kommen, Essen nach Lust und Laune zu genießen. Und somit vom Weg Richtung Idealkörper abzukommen. Das Dilemma ist offensichtlich, nach wie vor sind meist die Frauen z.B. in der Familie hauptverantwortlich für die Nahrungszubereitung. Sie jedoch werden von kulinarischen Lustbarkeiten ausgeschlossen bzw. verweigern sich diese selbst. Beim Buffet nochmals zulangen, über die Stränge schlagen, ist meist vom schlechten Gewissen gefolgt, das mit Äußerungen wie morgen esse ich halt weniger oder dann gehe ich morgen ins Fitnessstudio beschwichtigt wird. Auf zum Schönheitsideal der spindeldürren (=dynamischen, begehrenswerten, lebenstüchtigen) Frau!

Alles easy. Ich wusste es: Je früher Sie mit dem Schlankheitsprogramm beginnen, desto leichter sind Schwangerschaftsspuren wieder zu beseitigen und Ihre Familie kann wieder stolz auf Sie sein! oder Wenn der Körper nicht durch Übergewicht belastet ist, Frauen – elastisch – beweglich – sportlich – aktiv – jugendlich – gut gelaunt und selbstbewusst auftreten… Also, Frau-en, ihr seid zu fett, will heißen faul. Kein Wunder, dass euer Selbstbewusstsein im Keller ist und sich die Familie für euch schämen muss, wenn ihr mit Dehnungsstreifen, alt und schlecht gelaunt zwei Erdnüsse in euch hineinstopft. Aber es gibt eine Lösung für euer Unglück: Speckt ab! Anders sind die meisten Anzeigen für Schlankheitsinstitute- und mittel nicht zu verstehen: Abnehmen ist ganz einfach. Die Frauen – Männer tauchen in den Werbeeinschaltungen und Broschüren so gut wie nie auf – müssen sich nur ein bisschen zusammennehmen; ein paar Pillen schlucken oder einen Slim-Drink schlürfen. Locker, leicht, zwischen zwei Meetings ein Döschen aus der Schreibtischschublade geholt… Wenn Frau so nicht abnimmt, ist sie eben eine Versagerin. Tragisch mutet es an, wie Kundinnen diverser Institute in den Hochglanzbroschüren ihre Errettung aus dem Unglück schildern. Sie werten ihren Körper ab, mein Po tendierte immer noch in Richtung ‚ordentlicher Haflingerhintern‘ und huldigen dem Team, mit deren Lockerheit aber auch Strenge sie es schafften, sich wieder unter die Menschheit zu trauen.

Gefährlich. Im günstigsten Fall wird Frau viel Geld für wirkungslose Pulver los. Manche Wundermittel sind jedoch gesundheitsgefährdend. Zum Beispiel Tabletten, die das Körperfett vernichten. Essen nach Herzenslust und dabei abnehmen, so die Werbeversprechen. Das Problem: die Substanzen, die in diesen Pillen enthalten sind, binden nicht nur das Körperfett, sondern auch Nährstoffe wie Vitamin A, D, E, die unverdaut und durchfallsartig ausgeschieden werden. Besonders gefährlich sind Appetitzügler. Sie enthalten Amphetamine, die aufputschen und den Appetit bremsen. Sie können abhängig machen, und falls man sie doch absetzt, sehr schnell wieder das Gewicht hochschnellen lassen, warnt Rudolf Schoberberger vom Institut für Sozialmedizin. Um nicht zuzunehmen, greifen übrigens viele Frauen auch zum Glimmstengel. Eine weitere gefährliche Nebenwirkung: Bluthochdruck im Herz-Lungen-Kreislauf. Im Griff zum Glimmstengel sehen viele Frauen übrigens auch eine Methode, um nicht zuzunehmen. Garantiert mit schädlicher Wirkung…

Einstiegsdroge. Diäten werden bei Erstgesprächen oft als Einstieg in die Essstörung genannt, so Rahel Jahoda von SO WHAT – Beratungsstelle von Menschen mit Essstörungen: Ich glaube, es ist zwischen Ursache und Auslöser zu unterscheiden. Die Wurzeln von Essstörungen sind vielfältig und vielgestaltig und bei jeder Betroffenen findet sich bei genauer Beschäftigung damit ein einzigartiges individuelles Geflecht. Risikofaktoren sind aber sicher zwischenmenschliche Probleme (soziale Angst, fehlende Selbstsicherheit), jugendlicher Bindungs-, und Autonomiekonflikt, Perfektionismus, zwanghafte Persönlichkeitsstrukturen, Stress und Versagensängste, Probleme bzw. Ängste mit dem Bild der Frau. Auch Daniela Kern vom Gesundheitszentrum F.E.M. nennt Erschreckendes bezüglich gestörtem Essverhalten. Einer Studie nach (Autorin: Beate Wimmer-Puchinger) haben fünfzig Prozent der Mädchen zwischen 12 und 14 Jahren schon einmal eine Diät gemacht. Die Studie zeigt auch auf, dass so junge Mädchen schon auf ihr Gewicht achten, Lebensmittel in ‚gute‘ und ‚böse‘ einteilen und ein gezügeltes Essverhalten aufweisen. Ursachen für eine Essstörung liegen unseres Erachtens nach in dem Zusammenspiel von gesellschaftlichen, persönlichen und familiären Risikofaktoren.

Problemzone. Obwohl immer als Fliegengewicht tituliert, wage ich mich trotzdem zur Rat-Suche ins Schlankheitsinstitut Figurella. Im rosa-flauschigen Beratungszimmer werden unter dem stren- gen Blick der Beraterin Oberarme, Brustumfang, Bauch etc. gemessen. Mein Körper – eine einzige Problemzone. Sogar Cellulite droht mir, denn das Gewebe an meinen Oberschenkeln sei sehr weich. Empfohlen werden mir dreißig Behandlungen mit Aktiv-Sauerstoff, Bewegung, Ernährungs-beratung. Letztere besteht aus allgemeinen Richtlinien. Ob ich z.B. mehr Kalzium brauche, Vitamin B oder Kalium, erfahre ich also nicht. Aber immerhin würde sich mein Körperumfang um insgesamt 39 Zentimeter reduzieren. Ich verlasse das Institut und weiß: meine zwei überschüssigen Kilo behalte ich – und 1.700 Euro. Geschäftstüchtigkeit kann ich der Dame nicht absprechen. Ich denke lieber nicht daran, wie es Frauen ergeht, die verzweifelt in diesem Institut versuchen, ihre Figur zu trimmen.

Notwendig. Hundert Gramm Hühnerbrüstchen, zwanzig Gramm Kartöffelchen, in einer fingerhutgroßen Wassermenge gedünstet. Macht schlank – ist aufwendig. Ich verwehre mich nicht gegen ein schmackhaftes Essen, das ich extra für mich zubereitet habe. Aber ich werde die Frage nicht los, wie dieser Aufwand für Frauen zu betreiben ist, die z.B. auch noch für ihre Familie kochen müssen. Ein bewusster Umgang mit dem Essen, ein liebevoller Umgang mit dem Körper wird bei den 5 Kilo in 5 Tagen-Diäten sicher auch nicht erlernt. Der JoJo-Effekt, der nach einer Diät das Gewicht wieder hochschnellen lässt, oft sogar höher als vor Diät-Beginn, lässt viele Frauen frustriert fragen, wozu sie sich eigentlich bemüht haben. Wichtig sei, so Rahel Jahoda, zwischen physischem und emotionalem Hunger zu unterscheiden und dann jeweils adäquat reagieren zu lernen, auch Bewegung sollte in ein Behandlungskonzept integriert werden.

Wann ist eine Diät notwendig? Eine gute Richtlinie sei ein Body-Mass-Index unter 25, so Rudolf Schoberberger. BMI = Gewicht in Kg/Größe in Meter zum Quadrat. Auch der Körperfettgehalt kann herangezogen werden: bei Frauen möglichst unter dreißig Prozent, bei Männern unter zwanzig Prozent. Eine Verhaltensmodifikation, bewussteres Essen und je nach Möglichkeit vermehrte Bewegung sind notwendig. Aspekte, die in dem von ihm mitentwickelten Programm Schlank ohne Diät Eingang gefunden haben. Ein Programm, das keine Verbote und Gebote kennt, es ist daher in der Alltagssituation leicht einsetzbar. Angestrebt wird eine langsame Gewichtsreduktion, die durchschnittlich ein halbes Kilo pro Woche beträgt. Durch das langsame Abnehmen, das auch über längere Zeit durchgeführt werden kann, gelinge eine dauerhafte Gewichtsreduktion von durchschnittlich sieben Kilo. Mehr seriöse Infos wie diese wären wünschenswert. Besonders, wenn Frauen vorgegaukelt wird, ihre Glückseligkeit liege im Suppen-Kasper Ideal, das nur durch Diäten, Kalorienzählen und Selbstkasteiung zu erreichen sei.