Abseits von Sisi-Kitsch

© Petra Öllinger und Anni Bürkl

Erschienen in „zu.schläge“ – eine Beilage der Anschläge – das feministische Magazin, Juni 2002.

Die offizielle Geschichtsschreibung und die öffentliche Erinnerung in Form von Denkmälern, Gedenktafeln oder Büchern vernachlässigt den Anteil der Frauen, lautet die Maxime von Stadtführerin Petra Unger.

Petra Öllinger und Anni Bürkl wandelten mit ihr auf weiblichen Spuren durch Wiens Innenstadt.

Wer suchet, die findet? Johann Strauß? Steht im Stadtpark. Wolfgang Amadeus Mozart? Steht im Burggarten. Eugenie Schwarzwald? Steht nirgendwo. Lina Loos? Steht nirgendwo. Lediglich zwei von den 100 Denkmälern historisch bedeutender Personen in Wiens Innenstadt sind Frauen gewidmet: Maria Theresia und Kaiserin Elisabeth. Eine Gedenktafel an der Michaelerkirche dankt den Frauen Österreichs für heldenhaftes Wirken im Weltkriege 1914-1918. Petra Unger, Kulturvermittlerin und Stadtführerin, möchte diesem Verborgen- und Vergessensein von Frauen in der Geschichte entgegenwirken, weshalb sie einmal im Monat spezielle Frauenstadtführungen veranstaltet, um weibliches Wirken bei historischen Ereignissen zu thematisieren.

Kopfgeburten und Allegorien.
Parlament, 14.00 Uhr. Den Anfang des Rundganges macht eine griechische Göttin: Pallas Athene. Die kopfgeborene Tochter von Zeus stellt einen ersten Anknüpfungspunkt zur Gegenwart dar. Sie war Kriegerin und durfte keine Mutter sein; auch heute noch ist die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft schwierig. Eine genauere Betrachtung der steinernen Figuren, die sich am und um das Parlament tummeln zeigt: Historische Personen sind Männer, Frauen reichen nur zu Allegorien von Flüssen und Monarchievölkern, von Exekutive und Legislative.
Beim Denkmal der österreichischen Kaiserin Elisabeth im Volksgarten stellt sich die bange Frage, ob deren Geschichte noch Spannendes bieten kann. Sie kann! Für viele Mädchen und Frauen bietet Elisabeth attraktive Anknüpfungspunkte: ihr unglückliches Leben, ihre Magersucht und ihre Widerständigkeit in vielen Bereichen. So war sie ständig in Bewegung augrund ihrer Magersucht, obwohl von Frauen körperliche wie geistige Unbeweglichkeit gefordert wurde. Sie bestand darauf, ihre Kinder bei sich zu behalten – Für den kaiserlichen Hof, der auf Traditionen pochte, eine Ungeheuerlichkeit.

Großes Schlachten.
Die ersten Diskussionen in der Gruppe beginnen auf dem Weg zum Heldenplatz. Es ist der Platz der Helden – nicht der Heldinnen. Keine Rede von den Frauen, deren Einsatz es während der Kriegsereignisse zu verdanken war, dass das Leben weitergeht. Die Trümmerfrauen, die nach dem Krieg maßgeblich am Wiederaufbau beteiligt waren? Sie haben keinen Platz am Heldenplatz. Auch die Zivilbevölkerung findet keine Erwähnung. Das Denkmal des Unbekannten Soldaten hätte als Denkmal der Abgeschlachteten eindringlichere Wirkung.

In der Hofburg macht Petra Unger einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Zeitrechnung. Was uns heute selbstverständlich erscheint – nämlich immer und überall zu wissen wie spät es ist – war es früher keineswegs. Das Bestehen auf einer Uhr in der Fabrikhalle war Teil des ArbeiterInnenkampfes. Nun war es kaum noch möglich, die ArbeiterInnen zu betrügen, indem man ihnen einredete, sie müssten noch weiter arbeiten, obwohl bereits Feierabend war. Tip: ein Besuch im Uhrenmuseum, wo auch Stücke von Marie von Ebner-Eschenbach zu finden sind, die eine leidenschaftliche Uhrensammlerin war.

Kaffeehausliteraten.
Sie lesen richtig: ohne -Innen. Frauen ohne männliche Begleitung hatten etwa ins alte Café Griensteidl keinen Zutritt. Als Gegenöffentlichkeit gründeten sie Salons.

Bei einer Melange im heutigen Café Griensteidl holt Petra Unger den revolutionären Architekten Adolf Loos (Das Ornament ist ein Verbrechen), die Autoren Egon Friedell, Peter Altenberg & Co. von ihrem Podest. Große Geister wurden viele aufgrund der Unterstützung von Frauen. Auch wenn sie für Egon Friedell nur zufällige Anregungen sind, wie er der Schauspielerin und Autorin Lina Loos schreibt. In der Bösendorferstraße findet sich eine Gedenktafel an Adolf Loos – der sich von immer jüngeren Frauen angezogen fühlte, und letztlich wegen Kindesmissbrauch verurteilt wurde. Seine Frau Lina und deren Eltern, die das Ehepaar vor allem finanziell unterstützten, werden mit keinem Wort erwähnt.

Marzipan und Korsettverbot.
Vorbei am Demel erfahren die Spaziergängerinnen, dass zumindest die Ahnfrau der Nobelkonditorei nicht völlig unsichtbar bleibt. Sie sitzt als Marzipanfigur im hauseigenen Museum im Kellergeschoss.
Unsichtbar ist hingegen das Werk von Eugenie Schwarzwald in der Wallnergasse. Nichts erinnert an die von ihr gegründete Schwarzwaldschule, eine Bildungsstätte für Mädchen. Als Zeichenlehrer fungierte Oskar Kokoschka und Musiklehrer war Arnold Schönberg. Neben der geistigen Förderung der Mädchen, war auch deren körperliche Entwicklung ein Anliegen von Eugenie Schwarzwald: Es herrschte Korsettverbot, die Mädchen absolvierten Turn- und Gymnastikübungen auf dem Dach der Schule. Eugenie Schwarzwald agierte auch als Netzwerkerin. In ihrem Salon in der Josefstädterstraße trafen sich die Wiener Intellektuellen.

Auch die Teilnehmerinnen am Frauenstadtspaziergang entpuppen sich als Netzwerkerinnen, Visitenkarten werden ausgetauscht. Auf dem Weiterweg stellen sie Überlegungen an, wie der Unsichtbarkeit von Frauen entgegengewirkt werden kann. Eine Gedenktafel anzubringen, wäre kein großes Problem, klärt Petra Unger auf. Jede Privatperson, jeder Verein könne eine solche aufhängen. Voraussetzung sei die historische Korrektheit und das Einverständnis der HauseigentümerInnen.
Am Graben angekommen, fällt der Blick auf eine alte Frau, verkrüppelt, zahnlos. Eine junge Schönheit stößt sie in den Abgrund: Die Pestsäule. Das Motto der allegorischen Figuren: Die Tugend besiegt die Pest. Das Junge besiegt das Alte. Schräg gegenüber ist eine Palmers-Filiale – Wie passend.