Heide Göttner-Abendroth – Frau Holle – Das Feenvolk der Dolomiten

Die großen Göttinnenmythen Mitteleuropas und der Alpen neu erzählt

© Petra Öllinger
erschienen in an.schläge – das feministische Magazin, April 2006

Es ist vollbracht! Der dritte Teil von Heide Göttner-Abendroths neuen Erzählungen großer Göttinnenmythen liegt bereit. Gleich vorweg: bereits die beiden anderen Bände, welche die Mythen aus Sumer, Ägypten und Griechenland sowie aus dem keltischen Raum zum Thema hatten, machen süchtig. Lassen zur „Ideenschaufel“ greifen, um selbst Hand anzulegen beim Weitergraben nach Spuren in und Verbindungen zu einem matriarchal geprägten Kontext. In dem nun vorliegenden Buch werden Frau Holle sowie das Feenvolk der Dolomiten aus der „Haus- und Kindermärchenecke“ und einer irrealen Fantasiewelt geholt und ihnen jene Bedeutung wiedergegeben, die durch patriarchale Umdeutungen und Nacherzählungen verschüttet, uminterpretiert und nur allzu oft romantisiert wurden.

Im ersten Teil befreit Göttner-Abendroth Frau Holle vom eingeschränkten Imagekorsett der lieben bettenschüttelnden Alten und zeigt, dass diese Göttin sich nicht darauf beschränken lässt, tugendsame Mädchen zu belohnen und faule „Gören“ zu bestrafen. Aber noch diese Kurzversion a la Brüder Grimm zeigt, liest frau genauer nach, eine Vielfalt an Symbolen und Handlungen wie z.B. Betten ausschütteln, spinnen, Brotbacken usw. Im ursprünglichen Holle-Mythos waren dies keine Haushaltsarbeiten, sondern wettermagische Tätigkeiten. Göttner-Abendroths Erzählung von Frau Holle liegen viele Einzelgeschichten zugrunde, den sie durchziehende rote Faden bildet die Mythe von Kleiner Erdschlange (als Goldmarie taucht sie später in verchristlichter Form wieder auf). Der Bogen spannt sich hier von der Initiationsmythe des Kindes Erdschlange zur Priesterinnenweihe“ bis hin zu ihrer Erwählung als Königin.

Der zweite Teil ist den bei uns eventuell weniger bekannten Mythen des Feenvolkes der Dolomiten gewidmet (aus diesem Grund sehr hilfreich ist die Genealogie der Königlichen-Fanes Sippe beginnend mit ). Die Geschichte vom Reich des Fanes, das Nationalepos der LadinerInnen, ist aus vielen Gründen wert gelesen zu werden. Einer davon ist, dass sich trotz Christianisierungsversuche dieser Mythenkreis in seiner ursprünglichen Form erhalten konnte. Der zweit liegt darin, dass sich auch hier gut die einfachen Anfänge einer matriarchalen Gesellschaft bis hin zu einem Königinnenreich verfolgen lässt, welches sich zuletzt mit Waffengewalt gegen Angreifer wehren muss.

Heide Göttner-Abendroth, Philosophin, Kultur- und Gesellschaftsforscherin, begründete eigenen Angaben zufolge 1976 zusammen mit Kolleginnen und Mitstreiterinnen die Frauenforschung in Westdeutschland und stellte in diesem Rahmen zum erstenmal ihre Theorie der matriarchalen Gesellschaft vor. Seit dieser Zeit ist eine Vielzahl an wissenschaftlichen Arbeiten, Essays, lyrischen Texten etc. zum Thema Matriarchatsforschung entstanden. Ihre kulturgeschichtlichen Deutungen der Göttinnenmythen geben einen faszinierenden Einblick in die Spuren des Matriarchats in der Mythologie und zeigen gleichzeitig deren historische Bedeutung. Verknüpft mit geographischen Hinweisen, verlocken ihre Erzählungen dazu, sich auf den Weg zu machen, diese mythischen Stätten aufzusuchen. Wie wäre es also zum Beispiel mit einem Besuch des Hohen Meißners, einem der berühmtesten Frauenberge, bei Kassel in Hessen. Oder einer Wanderung zur Fanes-Alpe in den Dolomiten?
Diese Verbindung aus zeitgeschichtlichem Hintergrund, realen Orten und Göttner-Abendroths begeisternden Erzählweise machen auch dieses Buch zu einemVorlese-, Nachschlag-, Nur-aus-Freude-und-Neugier-Lesen- sowie Landkartenbuch. Und lässt den Wunsch aufkommen, dass sich zu der bereits vorhandenen Trilogie noch Werke gesellen, auf dass die Lesenden sich weiter auf den Weg nach verschüttetem Wissen machen können.

Heider Göttner-Abendroth: Frau Holle – das Feenvolk der Dolomiten. Die großen Göttinnenmythen Mitteleuropas und der Alpen neu erzählt von Heide Göttner-Abendroth. Ulrike Helmer Verlag 2005, € 24.95