Perpetuum Mobile

© Petra Öllinger

Erschienen in „Lichtblicke“, Edition Schreiblöwe, Wien 2009

Meine Cousine hat Barbies Kopf verschluckt. Ich habe keine Ahnung, wie es ihr gelungen ist, den Plastikschädel hinunterzuwürgen, jedenfalls ist er jetzt im Magen meiner Cousine.
„Habe ich dir nicht gesagt, dass ich es kann?“, triumphiert sie.
Zuerst bin ich geschockt. Dann steigt die Wut in mir hoch. Diese Verrückte hat den Kopf meiner Barbie-Puppe gefressen.

Etwas kitzelt an meiner Nase. Ich öffne die Augen und sehe eine Plüschpfote.
„He“, brummt eine tiefe Stimme über einer Pfote, die mir auf die Nase tippt, „hast du die da angeschleppt?“
Mein Blick folgt der Pfote in Richtung Stimme. Ein Bär aus hellbraunem Plüsch steht auf meinem Brustkorb. Ich versuche mich aufzusetzen. Jedoch drückt mich das Gewicht des Bären auf das Sofa, es ist mir unmöglich, mich aufzurichten. Ich kann nur den Kopf nach links drehen. Mein Blick folgt der Plüschpfote in Richtung Wandregal. Ich erkenne dort blondes Haar und lange Beine. Ich drehe den Kopf zurück und sogleich ist die Pfote wieder auf meiner Nase. „Hast du die da angeschleppt?“, fragt der Bär nochmals. Er wartet meine Antwort nicht ab. „Egal wer sie angeschleppt hat, sie muss weg!“
„Sagt wer?“, frage ich.
„Ich“, brummt der Bär. „Und die anderen.“
„Die anderen?“
„Ja. Zwerg und Zwerg. Und Hase. Und Biene.“
„Warum haben die keine Namen?“
Wie aus der Pistole geschossen, so als hätte er nur auf diese Frage gewartet, antwortet er: „Ist das wichtig?“
Ich zucke mit den Schultern. Ist das wichtig? frage ich mich selbst im Stillen. Sollte ich mir nicht vielmehr Sorgen darüber machen, dass ein Plüschbär mit mir spricht und mich auf dem Sofa festhält?
Der Bär wendet seine braunen Knopfaugen nicht von mir ab.
„Sie muss weg“, wiederholt er mit unbewegter Miene.
Der Druck auf meinem Brustkorb lässt nach, so als ob der Bär plötzlich sein Gewicht verloren hätte.
Es gelingt mir aufzustehen. Ich gehe zum Regal, fasse die Barbie-Puppe um die Taille.
Ihren Schrei werde ich nie vergessen.

Unsanft werde ich an der Schulter gerüttelt. Ich weigere mich, die Augen zu öffnen. Was, wenn der Bär wieder da ist? Oder ich meiner Cousine zusehen muss, wie sie Teile der Barbie-Puppe vertilgt?
Das Schütteln hört nicht auf. Ich presse meine Handflächen auf meine Augenlider. Langsam spreize ich die Finger, öffne vorsichtig meine Augen und schaue durch meine Finger wie durch Jalousien. Kein Bär. Keine Cousine. Kein Puppenkopf.
„Ich muss ihnen Namen geben“, flüstere ich.
„Wem?“, fragt eine Frauenstimme.
„Den Zwergen. Und dem Hasen. Und der Biene. Und dem Bären.“
„Wozu?“
„Diese Frage kann ich nicht beantworten. Noch nicht. Ich muss den Bären erst fragen.“
„Du bist verrückt“, lacht die Frauenstimme. Die Stimme packt meine Handgelenke und will mir die Hände von den Augen, die ich wieder geschlossen habe, ziehen. Sie will mich an sich drücken, will mich hin- und herwiegen. Ich nehme die Hände von den Augen. Dann sehe ich die Stimme – blond und lange Beine.

Ich öffne den Mund. Meinen Schrei wird sie nie vergessen.