Schlank im Schuh für ein erfolgreiches Leben
Was tun, wenn einer wieder einmal Schlankheitstipps um die Ohren fliegen, die
„5 Kilo weniger in 5 Tagen“ versprechen? Von Petra Öllinger
Erschienen auf Wolfsmutter, 18. Oktober 2007
Ich habe es schon wieder getan. Ja, ich bekenne: Ich habe in der Zeitschriftenabteilung im Erdgeschoß einer Buchhandlung in den neuesten Frauen-Illustrieren geblättert. Ich wollte wissen, ob die diesjährigen Herbstdiäten von jenen des Vorjahrs zu unterscheiden sind. – Wie auch die Jahre zuvor, differieren sie nur marginal voneinander. Die Angebote von glücklich lächelnden Frauen auf den Fotos „Sei schlank und dünn, dann bist du auch so froh wie ich!“ oder „Speck ab und der Erfolg holt dich ein“ sind trotz vermeintlicher Trendigkeit ein „alter Hut“. Und trotzdem, mindestens zweimal jährlich (im Frühjahr und im Herbst) überkommt mich der Rappel, mich durch Gesundheits-Schöhnheits-Glamour-Hefte zu wühlen. Schließlich muß ich wissen, zu welchen Kraftakten Frauen fähig sein sollen, um einem (nicht selten computerretuschierten) Körper-Idealbild zu entsprechen. Nach den Zeitschriften sind die Bücher dran. Ich gehe einen Stock höher. Die Regale bergen eine Flut an Diät-Ratgebern. Ob Hardcover oder Paperback, alle sind sie prall gefüllt mit Tipps zu einem schlankeren und in Folge automatisch erfolgreicheren Leben. Da warten dann ebenfalls der Traumjob, der Traumprinz, die Traumkinder, das Traumhaus auf die schlanke/dünne Traumfrau …
Im Zuge meiner Arbeiten zum Thema Wundermittel auf dem Schlankheitsmarkt stieß ich auf den interessanten Umstand, daß Frauenmagazine ihren Umsatz erhöhen, wenn sie auf der Titelseite eine Schnelldiät ankündigen beziehungsweise kleine Diät Heftchen am Cover anbringen. „In den besten Fällen, wie zum Beispiel zu Jahresbeginn, erreicht dieser bis zu 20 Prozent“, berichtete die Marketingleiterin von „Für Sie“ in einem Profil-Interview im Jänner 2003.
Damen in Rosa
„Sie haben ein ‚gewichtiges’ Problem?“ Ein Pülverchen, eine Pille, ein Pflanzen-Elexier einnehmen und Simsalabim der Wunsch nach einer schlanken und ranken und normentsprechenden Figur erfüllt sich quasi von Zauberinnen-Hand. Wäre diese Wunscherfüllung so einfach, würden sich alle Gewichts-Probleme in Luft auflösen – und mein Betätigungsfeld als Ernährungstrainerin ebenfalls … Aufgelöst hätte ich mich selbst auch bald, wäre es nach der Beraterin eines bekannten Figur-Form-Studios gegangen. Im Zuge von Recherchearbeiten für einen Artikel zum Thema „Eßstörungen“ suchte ich das Institut auf. Meine Oberschenkel, meine Oberarme und mein Bauchumfang wurden vermessen. Der Vergleich mit einer Kostümanprobe hinkte nicht: „Da nehmen wir etwas weg.“ „Und bei den Knien läßt sich wohl auch etwas machen.“ Dem strengen Blick der Dame in Rosa entging nicht das kleinste „Fettwülstchen“. Mit diversen Sauerstoffbehandlungen und gymnastischen Übungen, spezielle Ernährungsempfehlungen gab es nicht, würde man meinen Problemkörper schon hinbekommen. Eventuell könnte ich auch vor der drohenden Orangehaut bewahrt werden.
Ich bin 1,52 groß und wog bei der Taxierung 44 Kilo. In mir stieg die Wut hoch („Meine Orangenhaut gehört mir!“). Sie (die Wut, nicht die Orangenhaut) half mir, dem Drängen der Dame in Rosa zu widerstehen, den Vertrag an Ort und Stelle zu unterschreiben. Ich mochte nicht daran denken, wie eine Frau sich fühlt, die unter Gewichtsreduktions-Druck (egal ob tatsächlich oder vermeintlich) steht …
Futtern wie bei Muttern
Die wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden schießenden Kochshows im Fernsehen, die Hochglanz-Koch-Bücher (mal ehrlich, ähnelt das Selbst-Gebrutzelte eigentlich jemals diesen Bildern?) können über eines nicht hinwegtäuschen: Kochen ist vielen Frauen (und auch Männern) schwer schmackhaft zu machen, vor allem dann, wenn es dabei um Regelmäßigkeit und „nur-für-sich-selbst-„Kochen“ geht. Es genügt nicht, als Ernährungstrainerin mit einem Packen an Rezepten zu winken. Vielmehr geht es darum, im Beratungsgespräch gemeinsam mit der Klientin einen Alltags-Schlachtplan zu entwerfen und die Stolpersteine auf dem Weg zum individuellen Wohlfühlgewicht zu finden und gemeinsam beiseite zu schaffen. Bei diesen „Aufräumarbeiten“ tauchen hin und wieder Erinnerungen an die in der Küche werkenden Mutter oder Großmutter auf. Ein Bild, das mit diesen Erinnerungen oft assoziiert wird, ist jenes einer sich für die Familie aufopfernden und abrackernden Frau. „So wie meine Mutter will ich sicher nicht werden.“
Diät als Ausnahmezustand
„Sobald ich wieder normal gegessen habe, habe ich zugenommen.“ Was heißt normal essen? Die Antwort ist klar: Wenn eine Frau zwecks Gewichtsreduktion eine Diät hält, ißt sie eben nicht normal. Und genauso schauen viele Diäten aus. Hundert Gramm Hühnerbrüstchen, zwanzig Gramm Kartöffelchen, in einer fingerhutgroßen Wassermenge gedünstet. Macht schlank – ist aufwändig. Da stellt sich die Frage, wie dieser Aufwand zum Beispiel für Frauen zu betreiben ist, die für ihre Familie auch noch kochen müssen – und ihrem Job nachgehen und der Hausarbeit. Ein bewußter Umgang mit dem Essen, ein liebevoller Umgang mit dem Körper wird mit „5-Kilo-in 5-Tagen-weniger-Diäten“ sicher nicht vermittelt. Für kurze Zeit wird auf vieles verzichtet. Wohlschmeckendes, lustvolles Essen ist meist tabu. Keine Gnade den kleinen Sünden. Freudlosigkeit während und Frust nach dem Abspecken. Sobald die Zeit des Darbens vorbei ist, beginnen die ersten Abschweifungen vom strikten Essensplan. Was nicht verwundert, wer hält auf Dauer schon ein 1 000 Kalorien-Hungern durch oder ausschließliche Ernährung von Eiern, Kartoffeln oder Steaks. Willkommen im alten Fahrwasser der vermeintlich überschüssigen Kilos – und derer noch mehr!
Willkommen auf dem Kuriositäten-Markt
Aber noch braucht frau nicht alle Hoffnung fahren zu lassen. Jene, die in der Crash-Diäten-Flut fast ertrunken sind, können sich auf dem Pillen-Pulver-Kuriositäten-Markt umtun. Hier tummeln sich unter anderem neben heilsversprechenden Light-Produkten, Entwässerungsmitteln, Fettkiller-Pillen und Slim-Drinks auch schlankmachende Einlegesohlen, Sitzungen im Sauerstoffzelt, Weltraumtechniken, spezielle Wickel-Folien, geheimnisvolle Pflanzenelixiere, Koffein und (scheinbar harmlose) Fettabsaugungen.
Der gemeinsame Nenner dieser Angebote: Abnehmen ist ganz einfach! Wozu Ess- und Lebensgewohnheiten umstellen? Das Perfide an diesen Botschaften: Welche es trotzdem nicht schafft, ist eine Versagerin. Nicht wenig Betroffene haben bereits Diät-Odysseen hinter sich; anfängliche Erfolge schlagen in Frustration um, weil sich auf der Waage nichts mehr tut.
Viele Produkte werden trickreich beworben. Hier ist von Wissenschaftlichkeit die Rede. Da werden namhafte „ExpertInnen“ genannt, deren Existenz bezweifelt werden darf. Es gibt Geld-zurück-Garantien, die bei Misserfolg allerdings unmöglich einzulösen sind, denn Postfach und Konten der Unternehmen sind rasch wieder aufgelöst. „Betroffene“ kommen zu Wort und frohlocken, 14 Kilo in 14 Tagen abgenommen zu haben. Belegt werden diese Wunder durch „Vorher-Nachher-Bilder“, von denen die meisten am Computer bearbeitet wurden. Begriffe werden falsch eingesetzt. Da ist dann zum Beispiel von Fettabbau die Rede und gemeint ist Fettverdauung. Die genaue Nennung und Mengenangabe der Inhaltsstoffe in den Wundermittelen sucht frau meist vergebens. Einen Beruhigungseffekt haben Begriffe wie „natürlich“ oder „naturbelassen“, nach dem Motto: Was aus der Natur kommt, kann nicht schädlich sein.
Eine kleine Auswahl an (teilweise skurrilen) Diättipps stellen die folgenden drei Beispiele dar:
Schlank im Schuh
Eine Schuheinlage mit kleinen Noppen, die eine Art Fußreflexzonenmassage bewirkt und dabei vor allem auf die Verdauungsorgane aktiviert. Damit diese Sohle auch wirken kann, ist eine tägliche Bewegungsdauer zwischen ein und zwei Stunden notwendig (in älteren Werbeeinschaltungen wurden drei und vier Stunden empfohlen …) – eine Gewichtsreduktion, die auch ohne der Einlagen möglich ist.
Ein Obstsalat zum Abnehmen – die wundersame Papaya, Mango und Ananas
Fettabbau mit tropischen Früchten klingt sehr verlockend. Die bauen zwar schon etwas ab, jedoch nicht das Körperfett. Die Früchte enthalten Enzyme, wie Bromalein oder Papain, die der Eiweißspaltung im Magen und so einer besseren Protein-Futterverwertung dienen. Beim Körperfett tut sich nichts.
Ein Klassiker – schlank durch light
Die Bezeichnung „light“ bei Lebensmittel gaukelt vor, daß das Gewicht im Handumdrehen reduziert wird. Für den Begriff light gibt es nach wie vor europaweit keine einheitlichen Definitionsrichtlinien. Light kann heißen, daß weniger Zucker, weniger Fett, weniger Alkohol in einem Produkt enthalten ist. Es kann aber einfach nur bedeuten, daß ein Nahrungsmittel als besonders bekömmlich angepriesen wird. Light erleichtert meist nur die Geldbörse, häufig sind light-Produkte nämlich teurer als herkömmliche Nahrungsmittel.
Im „günstigsten“ Fall entstehen finanzielle Einbußen (viel Geld für null Effekt). Nicht selten jedoch können gesundheitliche Probleme auftreten, wenn zum Beispiel die unkontrollierte Einnahme von Entwässerungsmittel den körpereigenen Mineralstoff-Haushalt aus dem Gleichgewicht bringt. Der mögliche Kaliummangel kann zu Wasserhaushaltsstörungen und Ödemen führen. Abführmittel eignen sich ebenfalls nicht, um das „Anlegen“ überschüssiger Kalorien zu vermeiden. Sie wirken da, wo die Nahrungsverwertung schon längst abgeschlossen ist – im Enddarm. Bei Dauereinnahme kann der Darm geschädigt werden, auch mit „natürlichen“ Abführmitteln.
Nicht kurios, sondern gefährlich sind Appetitzügler. Diese weisen Substanzen auf, die im Zentralnervensystem wirken und ein hohes Suchtpotenzial und andere Risikofaktoren wie zum Beispiel Lungenhochdruck bergen.
Die Ernährungsampel informiert
Dabei handelt es sich um ein von der ArbeiterInnenkammer Wien (AK-Wien) neu entwickeltes Kennzeichnungssystem von Nährstoffen in Lebensmittel. Welche hat sich im Supermarkt nicht schon durch kleingedruckte und nicht immer zu durchschauende Angaben von Inhaltsstoffen und Nährwertangaben auf Packungen und Etiketten gequält. Die Farben der Ernährungsampel sollen helfen, die Mengen von Zucker, Salz, Fett und gesättigten Fetten auf einen Blick zu erkennen.
Petra Lehner von der AK Wien erklärt die Idee der Ampel in einem Artikel in der Zeitschrift „AK-Für Sie“, Oktober 2007: „Dass ein Ketchup ‚light’ ist, kann man aus zwei Metern Entfernung lesen. Dass aber immer noch genug Zucker und ordentlich Salz drinnen ist, das erfährt man nicht. Und selbst, wenn es in der Tabelle im Kleingedruckten steht, wissen viele trotzdem nicht, ob 15 Gramm Zucker viel oder wenig sind. Die Ernährungsampel kann hier helfen.“ So sollen sich die Angaben auf die Menge beziehen, die die KonsumentInnen im Normalfall essen, also auf einen Becher oder eine Portion.
Ernährungsampel
Sich von Ernährungsdogmen nicht einkochen lassen
Rohkost. Nur gekochte Nahrung. Kein Fleisch. Steaks bis zum Abwinken. Alles in Butter. Oder doch besser Olivenöl? Apfelessig auf nüchternen Magen. Trennkost. Fünfmal am Tag ein Stück Obst. Dinner Cancelling.
Wir werden von Ernährungs- und Gesundheitstipps zeitweise richtiggehend überflutet. Und manchmal hat frau das Gefühl von der Wellness-Welle mitgerissen zu werden und in Gefahr zu geraten, in der Fülle an „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen“ zu ertrinken.
Aber so unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind die für sie passenden Ernährungsmöglichkeiten. Dogmatische 08/15 Empfehlungen lassen sich nicht auf die individuellen Bedürfnisse jeder einzelnen aufpfropfen. Auf Dauer erfolgreich in den Alltag zu integrieren sind sie auch nicht. Eine Binsenweisheit.
Eine Binsenweisheit? Reicht der ausschließliche Blick auf das, was zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Abendbrot und zwischendurch und mitten in der Nacht gemampft wird nicht aus? Nein, er reicht nicht aus. Und es reicht auch nicht aus, mit Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterinspiegel oder den sich in Richtung jenseits von Gut und Böse beweglichen Triglizeridwerten zu drohen.
Meiner Erfahrung nach ist es zielführender, gemeinsam mit den Klientinnen neben ernährungsspezifischen Angelegenheiten eine für sie individuell angepaßte alltagstaugliche Strategie zu entwickeln, die unter anderem folgende Aspekte umfaßt:
· Warum will ich mich überhaupt gesünder ernähren? Warum will ich abnehmen? Will ich das wirklich ?
· Wie kann ich mein Vorhaben gut in meinen (Arbeits-) Alltag integrieren?
· Habe ich an meinem Arbeitsplatz die Möglichkeit, Essen zuzubreiten oder zumindest warm zu machen?
· Wie kann ich Pausen in meine Arbeit so einplanen, daß ich in Ruhe essen kann – und nicht vor dem Computerbildschirm, nicht während des Kopierens …
· Wie regle ich den Einkauf?
· Kann ich mir gesunde Ernährung finanziell leisten?
· Was mache ich, wenn die Familie ob des liebevoll zubereiteten Abendmahls in ein kollektives „Uäh, das esse ich nicht“ ausbricht?
· Wie verhalte ich mich, wenn die KollegInnen / FreundInnen / dieSchwiegermutter mit Torte locken und ich fürchten muß, als Spielverderberin zu gelten, weil Torte zur Zeit nicht ins Konzept paßt.
· Was tun, wenn alle Hoffnungen und guten Vorsätze verpuffen?
Fragen, die einer individuelle Beantwortung bedürfen. Eindeutig zu beantworten ist jedoch die eingangs erwähnte Frage: Was tun, wenn einer wieder einmal Schlankheitstipps um die Ohren fliegen, die „5 Kilo in 5 Tagen weniger“ versprechen? Am besten ignorieren.
Oder, falls es sich um saugfähiges Papier handelt, auf dem diese Blödheiten gedruckt sind, zum Beispiel den Meerschweinchenstall damit auslegen …
Eine kleine Auswahl an Literatur zum Thema:
Angres, Volker; Huter, Claus-Peter & Ribbe, Lutz (vollständig, aktualisierte Taschenbuchausgabe, 2002): Futter fürs Volk. Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt. München: Knaur.
Drolshagen, Ebba D. (1997): Des Körpers neue Kleider. Die Herstellung weiblicher Schönheit. Frankfurt/Main: Fischer Verlag.
Göckel, Renate (2002): Warte nicht auf schlanke Zeiten. Stuttgart: Kreuz Verlag.
Grimm, Hans-Ulrich (1999): Die Suppe lügt. Die schöne neue Welt des Essens. München:
Knaur.
Lehner, Petra (1999): “Wundermittel“ gegen Übergewicht. Wien: Aktiv für Sie –
Arbeiterkammer Wien.
Eine aktuelle Ausgabe dieser Broschüre gibt es hier zum Downloaden.
Orbach, Susie (17. Auflage, 1997): Anti-Diätbuch. Über die Psychologie der Dickleibigkeit, die Ursachen von Eßsucht. München: Frauenoffensive.
Orbach, Susie (9. Auflage, 1997): Anti-Diätbuch II. Eine praktische Anleitung zur Überwindung von Eßsucht. München: Frauenoffensive.
Pollmer, Udo (2005): Esst endlich normal! Wie die Schlankheitsindustrie die Dünnen dick und die Dicken krank macht. München, Zürich: Piper.
Pollmer, Udo; Fock, Andrea; Gonder, Ulrike & Haug, Karin (2001): Prost Mahlzeit. Krank durch gesunde Ernährung. Köln: Kiepenhauer & Witsch.
Schoberberger, Rudolf; Kiefer, Ingrid & Kunze, Michael (2002): Schlank ohne Diät. Das Super- Abnehmprogramm. Leoben: Kneipp Verlag.
Vandereycken, Walter; van Deth, Ron & Meermann, Rolf (veränderte Ausgabe, 1992): Hungerkünstler, Fastenwunder, Magersucht. Eine Kulturgeschichte der Eßstörungen. München: dtv.
Worm, Nicolai (1998). Diätlos glücklich. Abnehmen macht dick und krank. Genießen ist
gesund. Bern: Hallweg.