Märchenhaftes Sammelsurium

© Petra Öllinger

Brief an Dornröschen

Liebes Dornröschen!
Nur knapp bin ich einer Katastrophe entronnen. Gestern war ich bei der Hochzeit meiner Stieftochter Schneewittchen eingeladen. Weißt Du was die von mir verlangte? Ich sollte rotglühende Pantoffel anziehen. Die spinnt doch! Darauf konnte ich verzichten. Die ist genauso plemplem wie ihr Vater. Und dann noch diese lästigen sieben Abgezwickten. Die sind eine Landplage mit ihrer Naivität und ihrem arbeitsamen Getue. Die dachten wohl alle, ich wüßte nicht, was es mit den roten Schuhen auf sich hat. Ich tanze mich doch nicht zu Tode!

Heute treffe ich mich mit den Wilden Frauen am Blocksberg. Das wird wieder eine archaische Nacht. Viel Rotwein, Gelächter und ein vulkanischer Liebestaumel mit dem Eros. Letztes Jahr wurde ich aufgehalten wegen Trunkenheit am Besen. Wer glaubst Du, hatte Dienst? Seine teuflische Herrschaft persönlich. Das sei ihm jetzt aber wirklich zu bunt, schnauzte er mich an, daß ältere Frauen angeduselt mitten in der Nacht in der Gegend herumfliegen. Ich sagte zu ihm, er solle sich auf den Mars verkrümeln, wenn ihm etwas nicht paßt. In unser Geschrei platzte plötzlich Hephaistos. Du kennst ihn ja, diesen Hinkepeter. Sieht ein bisschen gaga aus, aber schmieden kann der! Er beglich für mich den geforderten Blutzoll für meinen Schwips im Verkehr. Dann sind wir beide noch auf den Vollmond geflogen auf ein Gläschen Rotwein.
Kommst Du heute Abend auch? Ich habe schon lange nichts mehr von Dir gehört. Ich hoffe, Du wirst nicht auch so eine langweilige Trantüte wie Schneewittchen, nur weil Dir ein Prinz ins Leben gelatscht ist.

Allerherzlichst
die Königin

Notiz an Frosch König

Sehr geehrter Herr Frosch König!

Sollte ich Sie noch einmal dabei erwischen, daß Sie Brotlaibe aus meinem Backofen stehlen, dieses dann in einem Brunnen aufweichen, um sie mir in die Tuchent zu stecken, als dann den Menschen statt Schneeflocken aufgeweichte Krümel auf den Kopf fallen, sehe ich mich gezwungen, rechtliche Schritte gegen Sie vorzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Frau Hilde Holle

E-mail an Rapunzel

An: rapunzel@longhair.maerchen
Ref: prinzenrolle
hi rapunzel,

habe gestern wieder diesen deppen von prinzen getroffen. er hat danach gefragt, ob er sich an dich raufhängen kann. darf er? würde mir das an deiner stelle gut überlegen.
greetings, loreley

Rumpelstilzchen schreibt Tagebuch

Liebes Tagebuch, ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Blöderweise habe ich der Königin versprochen, ihr beim Goldspinnen zu helfen. Ich weiß wirklich nicht, was da in mich gefahren ist. Wollte mir nur einen Spaß machen. Na ja, jedenfalls mußte ich eine Gegenleistung verlangen, hätte sonst läppisch ausgesehen. Fiel mir nur ein, ihr zu sagen, sie solle das Erstgeborene rüberrücken. Wenn ich das jetzt so lese, wird mir ganz schlecht. Das Spielchen machten wir drei Mal. Ich wollte eh aufhören, aber die Königin hat so lange gejapst, bis ich nachgegeben habe. Das habe ich von meiner Gutmütigkeit. Hätte nie gedacht, daß die Ernst macht. Verflixt. Die hat mir wirklich ihre Göre vermacht und ist verduftet. Ich hab gedacht, ich spinne. Ich weiß nicht mal wie die heißt!

Sondermeldung: Froschkönig bezichtigt Rotkäppchen des Betrugs

Skandal um Rotkäppchen weitet sich aus!
Nachdem bereits der Wolf und Schneewittchen Opfer von Rotkäppchen geworden sind, befindet sich ein weiterer Prominenter unter den Geschädigten. Der Froschkönig gab gestern laut ersten Meldungen der WPA (Wald-Presse-Agentur) zu Protokoll, daß Rotkäppchen ihn um seine Zungenlänge betrogen hat. Natürlich mißt meine Zunge normalerweise 30 Zentimeter! erbost er sich gestern Abend in einem Fernsehinterview, Doch dieses Luder hat mir einfach 20 Zentimeter abgenommen. Die Fahndung läuft auf Hochtouren, Der Wolf, dem sie das Fell abgezogen hat und Schneewittchen, dem nun alle Haare fehlen, haben eine Prämie in noch unbekannter Höhe ausgesetzt.

Gehirnschwund – Ein modernes Märchen

Es war einmal ein kleiner Mann. Der war mit seinem Leben dauernd unzufrieden. Er wollte mehr Freude und Glück erleben. Was hatte er nicht schon alles getan: Marihuana, Kat, Heroin, Crack. Aber nichts davon brachte ihm Glückseligkeit auf Dauer. Eines Tages traf er ein Männchen im Resselpark, das noch viel kleiner war als er. Es bot ihm weißes Pulver an Da, probier mal! Das löst dein Problem sicher! Der kleine Mann schnupfte sich davon etwas in die Nase. Nach einigen Sekunden jubelte er auf Wow! Dann kaufte er ein Päckchen. Aber oh weh, im Laufe der Zeit stellte er eine seltsame Veränderung an sich fest. Er konnte sich nichts mehr merken.

Gehirnschwund, konstatierte der Arzt, Da kann man nichts machen. Der Arzt verschrieb dem kleinen Mann ein Rezept für Hirschtalg, damit er wenigstens mit der Krankenkasse abrechnen konnte.
Der Gehirnschwund hatte aber auch sein Gutes für den kleinen Mann. Er merkte nicht mehr, daß seine Frau eine Kratzbürste ist, dass es den Winter gibt und daß Zitrusfrüchte schlecht für die Magensäure sind. Ihm war alles egal geworden und so lebte er noch viele Jahre glücklich und zufrieden.

Das Schokoladen-Riegel-Automaten-Märchen

In einem Schokoladen-Riegel-Automaten lebte einst eine kleine Frau. Zwischen Mars und Snickers hatte sie sich wohlig eingerichtet. Wann immer sie wollte, konnte sie von den Schokolade-Riegeln naschen. Wem sollte es auch etwas ausmachen, daß sie klein und RUND war.
Der Schokolade-Riegel-Automat stand in der Empfangshalle eines Hotels. Jeden Tag kamen viele Leute daran vorbei. So wurde der kleinen Frau auch nie langweilig. Sie konnte sich zurücklehnen und die Leute beobachten. Eines Tages wurde ein Schild an den Schokolade-Riegel-Automaten gehängt. Die kleine Frau schlüpfte heraus und blickte auf das Schild: Außer Betrieb. Zuerst war die kleine Frau fürchterlich erschrocken. Was sollte das bedeuten Außer Betrieb? Würde der Schokolade-Riegel-Automat wegtransportiert werden? Würde man sie entdecken? Müßte sie ausziehen?

Im Schokoladen-Riegel-Automaten wurde es immer wärmer. Die Kühlung war ausgefallen. Mars und Snickers verwandelten sich in eine braune Matschmasse. Beinahe wäre die kleine Frau darin ertrunken. Also packte sie ihre sieben Sachen, hüpfte aus dem Geldwechsel-Schlitz und suchte sich eine neue Bleibe.
Wo die ist? Ich weiß es auch nicht genau. Aber gestern hat es auf Tisch acht ziemlich gerumpelt in der Zuckerdose.