Hanan al-Shaykh – Zwei Frauen am Meer

Aus der Reihe: marebibliothek – Geschichten vom Meer

© Petra Öllinger
erschienen in an.schläge – das feministische Magazin, September 2002

Zwei Frauen am Meer von der libanesischen Schriftstellerin Hanan al-Shayk ist eine hilfreiche Möglichkeit, sich über den beginnenden Herbst zu retten.

Yvonne und Hoda begeben sich in Italien auf den Weg ans Meer, dessen Wellen Erinnerungen an ihr Leben im Libanon anschwemmen. Das Meer als Verknüpfung zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem trägt sie zurück zu den Treppen des Elternhauses oder in das Viertel, wo die Gassen eng und voll Katzengejammer waren. Das Meer, mit dem die Frauen unterschiedliche Erlebnisse verbinden. Für die islamische Hoda war es etwas Verbotenes, in das einzutauchen ihr nur durch Überlisten der Eltern gelang. Denn einen Badeanzug zu tragen, das hieß, dass der Ruf der Mädchen besudelt würde, wie ein silberner Teller, über den sich eine Schliere zog und die glänzende Oberfläche befleckte. Eine Schande – auch im überdachten Frauenbad – die schließlich durch Sand, Muscheln und einen nicht trocknen wollenden Badeanzug entdeckt wurde. Die Folge dieser Auflehnung: die Mutter trug noch öfter schwarze Kleider. Sie betete auch noch mehr, und der Vater murmelte, den Blick nach oben gerichtet, in der klaren Sprache des Koran über die Ungeheuerlichkeit, die ihm seine Tochter angetan hat und starb auf dem Weg vom Schwimmbad nach Hause. Für die Umgebung Anlass, nur noch zu schweigen und auf den Boden zu spucken… Für die christliche Yvonne versinnbildlicht das Meer Mut, Entdecken von Unbekanntem und Abtauchen in Geheimnisvolles. Geboren in einem Haus, in dem alle Fenster zum Meer hinausgehen, wird jenes zu Yvonnes Schule und schwimmen zu lernen, gab ihr großes Selbstvertrauen. Dieses wird auch nicht durch Gewalttätigkeiten der Mutter zu unterdrücken sein. Gemeinsam ist Yvonne und Hoda das Gefühl, als Mädchen wenig wert, nicht erwünscht gewesen zu sein. Die Brüder wurden immer bevorzugt. Als Yvonne beispielsweise nach Jahren auf Besuch zu ihrer Familie zurückkehrt, wird ihr die Schuld am beruflichen Scheitern ihres Bruders gegeben. Den beiden Frauen gelingt es trotzdem, ein zumindest beruflich erfolgreiches Leben zu führen, nachdem sie ihre Heimat verlassen haben, Hoda als Theaterregisseurin in Kanada, Yvonne als Chefin einer Werbeagentur in England. Gemeinsam ist ihnen auch der Grund für die Flucht aus dem Libanon: der Bürgerkrieg. Beide kehren sie fünfzehn Jahre später nochmals zurück an eine Universität, um dort Vorträge zu halten und ihre Freundschaft zu knüpfen, die für sie zum Rettungsring wurde, in einem Land, das ihnen längst fremdgeworden war.
Und gemeinsam ist ihnen ihre Sehnsucht nach Liebe. Spaß haben mit jungen Männern im Sommerurlaub, Erkundungstouren mit einem vermeintlichen Maler, der sich als Agraringenieur entpuppt, durch den Park einer italienischen Villa… Motive, die einem kitschigen Liebesroman entnommen sein könnten. Eine Gratwanderung – von Hanan al-Shaykh jedoch durch ihre wunderschöne und farbenreiche Sprache bewältigt, wenn sie Szenen am Meer beschreibt, dass frau beim Lesen vermeint, Sand zwischen den Zehen zu spüren und grün-blau schimmernde Wasserspritzer auf der Buchseite zu entdecken. Eine Sprache, die ihre Kompaktheit einerseits und sinnliche Poesie andererseits in der geglückten Übersetzung aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich beibehält. Mit wenigen Sätzen gelingt es al-Shaykh beispielsweise, Bilder der Eltern oder der Brüder zu skizzieren, Stimmungen in der Stadt Beirut der 60er Jahre einzufangen. Die Dichte der Erzählung manifestiert sich auch in deren Zeitrahmen. An nur einem einzigen Tag blitzt das Leben Hodas und Yvonnes vor den LeserInnen auf. Unter der Oberfläche scheinbarer sommerlicher Trägheit und Leichtigkeit taucht frau in ein sehr intimes und persönliches Bild einer kaum bekannten Stadt: Beirut, wo Hanan al-Shaykh aufwuchs. Sie lebte dort bis 1975, schließlich musste sie vor dem Bürgerkrieg nach London fliehen. Die Erfahrung mit diesen kämpferischen Auseinandersetzungen bilden den politischen Aspekt, der ebenfalls einen wellenschlaglang Platz in den Erinnerungen der beiden Meerfrauen einnimmt.

Hanan al-Shaykh: Zwei Frauen am Meer. Aus der Reihe: marebibliothek – Geschichten vom Meer. marebuchverlag, 2002