Spaßbremse

Der Einfluss neuer Medien auf die Lesegewohnheiten

© Petra Öllinger

Wir schreiben das Jahr 1998. Im Oktober desselben Jahres sitzen im Seminarraum im Keller des Wiener Instituts für Experimentelle Physik zwölf junge Menschen und schreiben ihre ersten HTML-Codes. Faszinierend. Eine simple h3-Überschrift in den „Innereien“ des Quellcodes zeigt sich als ÜBERSCHRIFT auf dem Computerbildschirm.

Wir schreiben das Jahr 2011. Im November desselben Jahres sitze ich im Seminarraum einer anderen Bildungseinrichtung und tauche noch tiefer in die Welt der HTML-Codes. Faszinierend. Der Klassiker

funktioniert noch immer. Dazu kommen nun border-left: 10px solid #000080; oder font-size: 62.5%;. Und alle ergeben sie – „umgerechnet“ – Texte, Grafiken, Filme, Töne … Eine Fülle an Anwendungen, eine Fülle an Möglichkeiten. Wo anfangen mit der Beantwortung der Frage: „Wie beeinflussen die neuen Medien Ihre Lesegewohnheiten?“

Vielleicht sollte ich Lesegewohnheiten von Texten durch Auseinandersetzung mit Texten tauschen. Die neuen Medien also. Auf der einen Seite beeinflussen sie mein Leseverhalten von „Nicht-Belletristik“ wie zum Beispiel tagespolitische Meldungen. So ist mir in relativ kurzer Zeit ein Vergleich verschiedener (journalistischer) Beiträge und Stellungnahmen zu einem bestimmten Thema möglich, um mir meine eigene Meinung zu bilden. Die Deutungshoheit eines einzigen Journalisten, einer einzigen Journalistin wird durch diesen Vergleich relativiert – nicht zuletzt auch durch (hin und wieder durchdachte) Postings von Leser/innen.

Neben dem inhaltlichen Aspekt ist für mich auch die optische Aufbereitung von Sites wichtig. Zuweilen stolpere ich über Sites, in deren Bilder- und Link-Überfülle ich mich zu verirren drohe. Da kann es mir schon passieren, dass ich mich plötzlich in den unendlichen Weiten von Gesundheitsangeboten befinde, weil die Kennzeichnung „(bezahlte) Anzeige“ fehlt. Oder ein Linktitel verspricht Informationen über eine Hunderettungsaktion und der Klick darauf führt mich in die Glitzerwelt von High-Society-Sternchen. Apropos Sternchen: Blinkende, winkende Buchstaben und Grafiken lassen mich sofort die Flucht ergreifen …

Apropos sofort, schnell und rasch; Informationen, die heute um 14.58 Uhr als topaktuell auf Twitter gezwitschert werden oder ein „Gefällt mir“ auf Facebook erhalten, sind morgen um 14.58 Uhr bereits ein „alter Hut“. Zwischen hashtags, @-Zeichen und tiny-URLs in Windeseile über ein Thema zu reflektieren und/oder darauf zu reagieren, lässt mich oft im übertragenen Sinn keuchend und nach Luft japsend auf der Timeline-Strecke zurück – inklusive der Fragen: „Passieren diese Unmengen an Rechtschreib- und Grammatikirrtümer aufgrund der Schnelligkeit, mit der ebendiese in die Tasten ‚geklopft‘ werden?“, „Warum verstehe ich den Tweet nicht: ‚#Vettel on the way to the front on the last #F1 test in #Jerez P4 26 laps 1:19.690 -0.050 slower than HAM on P3 and 0.813 slower than ALO P‘?“ Und „Bin ich uncool und eine Spaßbremse, weil ich der Lektüre von Literatur in Büchern aus Papier jenen in elektronischer Form (noch) den Vorzug gebe?“

Die letzte Frage kann ich für mich eindeutig mit Nein beantworten. „Mein“ Druckwerk – egal ob Hardcover oder Paperback – hält auch dann noch durch, wenn Akkus von Tablet PCs den Geist aufgegeben haben. Und dann wird’s erst richtig lustig. Denn „mein“ Druckwerk ist stoß- und wasserfest und hält sogar Knabberversuchen von Kleinkindern und Haustieren stand. Jedoch bin ich sicher, dass an der Behebung dieser Schwächen elektronischer Geräten gearbeitet wird. Möglicherweise sogar in einem Seminarraum im Keller.

Faszinierend.