© Petra Öllinger
Erschienen in der Literaturzeitschrift „Literatur im Kleinformat“, St. Wolfgang: Werkraum Abersee, Juli/August 2002.
Ich bitte Sie, wer fährt schon in die Provinz auf Urlaub? Wer fährt heute schon auf Sommerfrische nach, – wohin sagten Sie – Strobl? Nach Strobl am Wolfgangsee, ins Salzkammergut? Dahin, wo die Wolken die Berge küssen? Wo es tagelang regnet, wenn es sich einregnet, und Sie tagelang auf dem Zimmer hocken müssen. Nach dem dritten Tag wundern Sie sich nicht mehr darüber, dass es im Salzkammergut so viele Selbstmörder gibt.
Sogar Ihre Lieblingsbeschäftigung, für die Sie sonst selten Zeit finden, fällt Ihnen auf die Nerven. Spätestens nach dem dritten Tag – garantiert. Und zwar dermaßen auf die Nerven, dass Sie am liebsten alle mitgeschleppten Bücher aus dem Fenster werfen würden: Mann, Remarque, Kaschnitz. Der endlose Regen lässt nicht mehr die Hoffnung aufkommen, jemals wieder während Ihres Aufenthaltes hier trocknen Fußes etwas unternehmen zu können. Und da wollen Sie hinfahren? Kann man da überhaupt etwas erleben, außer den auf Fröhlichkeit und total event getrimmten Wasserskischule-Darbietungen. Oder der Sonntagsmesse? Oder der Fahrt mit einem Schiff über den Wolfgangsee?
Ich habe ja schon viele Regen erlebt. In Irland, wo es eine Minute regnet, oder eine Stunde, oder einen Tag, aber immerhin quetschte sich die Sonne immer wieder durch die Wolken, und ich hatte nie das Gefühl zwischen Bergketten ersticken oder die touristenergebene (scheinheilig traue ich mich ja gar nicht zu sagen) Freundlichkeit der Einheimischen aushalten zu müssen. Oder in Asien, warme, lustige Regentropfen hüpfen in den Straßen auf und ab. Auch wenn der Monsun tagelang auf die Köpfe prasselt, verheißt er immer wieder die Aussicht auf ein menschliches Weiterbestehen nach der Regenzeit.
Hier jedoch schließt jeder Tropfen eine Engstirnigkeit und Hoffnungslosigkeit ein, auch die der Gäste! Der Regen ist unaufhörlich, mal ein leichtes Nieseln, mal ein Nebelreißen, dann wieder dicke, schwere Wassermassen, die einem die Zimmerfenster einzudrücken drohen. Den Bäumen, deren Äste feuchtschwer nach unten hängen, sehen so leidvoll aus, dass man ihnen wünscht, sie könnten sich die Nässe aus dem Nadelfell schütteln. Draußen ist es duster, und Sie müssen mitten am sommerlichen Nachmittag das Licht einschalten. Die Sicht, nervös auf die Berge geheftet, ob sie nicht doch ihre Gipfel feigeben, verschwindet schlussendlich in einem traurigen Grau. Der Blick in die bunte ferne Welt wird Ihnen verwehrt, TV-mediale Ablenkung unmöglich, denn es gibt keinen Fernseher auf Ihrem Zimmer. Nur der mitgebrachte Bücherstapel könnte etwas Abwechslung bringen. Aber die Lust auf 1000seitige Werke ist Ihnen schon längst vergangen. Vielleicht hilft der Kurzausflug in ein örtliches Wirtshaus? Bekanntes wird Ihnen da serviert, Schweinebraten und Schnitzel und Mickey Maus-Teller. Versuchen Sie es aber nicht nach 22 Uhr abends. Die Auswahl beschränkt sich dann auf Würstel oder Toast. Schließlich würgen Sie Ihren Kummer mit einer Sachertorte und einem Häferlkaffee hinunter – das können Sie auch nach 22 Uhr. Wenn sich das regnerische Grau in der Nacht versteckt hat.