Brennpunkte in der Literatur
© Petra Öllinger
„Die schießen wie die Schwammerl aus dem Boden.“ Zugegeben, diese Aussage ist keine wissenschaftliche Definition für einen Trend im Literaturbereich. Vielleicht kommt der Versuch, diese Schwammerl zahlenmäßig zu erfassen, einer wissenschaftlichen Aussage näher? Aber da tauchen bereits weitere Fragen auf: Welche Zahlen? Verkaufszahlen von (Groß-)Buchhandlungen? Von (Groß-)Verlagen? Und bedeutet der Begriff „Einen Besteller landen“, dass dieser Besteller auch gelesen wird?
Und wie hängen all diese Variablen miteinander zusammen? Von den statistischen Auswertungsverfahren mal abgesehen … Denn was sagt eine „signifikante Korrelation“ zwischen der Variablen X („Rosamunde Pilcher-Romane“) und der Variablen Y („Frauen im Alter zwischen 25 und 30“) aus? Dass Rosamunde Pilcher-Romane die weibliche Alterskohorte beeinflusst (schon drängt sich hier eine weitere Frage auf: wie denn nun beeinflusst?). Oder wirken die befragten Frauen auf Rosamunde Pilchers-Romane ein? Oder wie? Oder was? Und will man das überhaupt wirklich sooo genau wissen?
Also zurück zu den Schwammerln. Genauer gesagt zum subjektiven Blick auf das häusliche Bücherregal. Gibt’s da einen literarischen Trend, einen Brennpunkt? Es gibt Vorlieben. Anna Seghers und Terry Pratchett, Colin Cotterill und Christine Lavant. Thematisch und sprachlich: Kraut und Rüben, quasi. Nix schießt da wie die Schwammerl in einheitlicher Trendrichtung aus dem Regal.
Oder doch?
Drittes Regalbrett von oben: „Blausprech“, „Das Buch gegen Nazis“, „Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“, „LTI“ usw. Darunter: „Die Wolfshaut“ (Hans Lebert), „Ausapern“ (Lina Hofstädter), „Der Halbmond von Gagging“ (Peter Matejka), Genre-Klammer: Kriminalroman. Man ist versucht zu ergänzen: mit Lokalkolorit. Kaum steht’s da, fühlt man schon die beleidigende Konnotation. Gut, die gegenwärtigen, viele Lauf- und Festmeter umfassenden Land-Krimis sind einigermaßen flüssig geschrieben, nicht ganz unspannend, wenn auch sprachlich und inhaltlich kein großer Wurf.
Gut, ländliche Idylle gibt’s zum Glück selten. Genauso selten wie bei Lebert, Hofstädter und Matejka. Das ist dann auch schon die einzige Parallele zum derzeitigen „Who’s-dunn-it“-in-der-Provinz-Hype.
Tumbe Dorfbewohner, über die sich die (städtischen) Leser/innen lustig machen dürfen? In Leberts, Hofstädters und Matjekas Romanen gibt es nichts, worüber sich die Leser/innen lustig machen könnten.
Die nationalsozialistische Vergangenheit holt die Dorf-Gegenwart unspektakulär ein. Sie schleicht sich „durch die Gaststube mit dem Mobiliar aus hellem Fichtenholz und Butzenscheiben im Aufsatzschrank“1 hin zum Stammtisch. Die Vergangenheit erfreut sich großer Beliebtheit. Gute Verbindungen von einst, sind auch heute noch nützlich: für den politischen Karrieresprung, für das beste Jagdrevier … Und: Es war nicht alles schlecht unterm Hitler. Kann man nicht endlich Ruhe geben, mit diesen Zwangsarbeitern? Diesen Juden-Geschichte? Diesen Krüppeln? „Euthanasieprojekt? Das ich nicht lache! Hat ja keiner zu fressen gehabt damals! Und wennst dann ein paar Depperte im Irrenhaus nicht mit Schnitzel vollstopfst, ist das ein Euthanasieprojekt. Klar wird man damals die Rationen nicht an die verfüttert haben, die eh nichts bringen.“ 2
Wer das nicht zum Lachen findet, keine Ruhe gibt, dem ergeht es (tödlich) schlecht. „Jetzt ist der Edi doch zur Polizei gegangen und hat seine Beobachtungen gemeldet. Darauf hat ihn die Rosi daheim ausgesperrt.“3
Das Leben im Dorf plätschert davon unberührt dahin: Ehefrauen und Kinder wurden und werden verprügelt, „das Pro-Kopf-Einkommen lag 25 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt“4, „was zu geschehen hatte, bestimmten die Bauern und die Partei“5. Das ist böse, und es muss nichts erfunden werden.
Passiert ein Mord, dann passiert er ebenfalls unspektakulär. Da genügen wenige Sätze. Er hat noch ein Sausen gehört. „Er hat noch ein Eisen im Mondlicht aufblitzen sehen. Und dann, dann sah er nichts mehr. Und hörte auch nichts mehr. Und gegen fünf begann der Schnee auf Schreckenschlager zu fallen. Das war der zweite Schlag. Und diesmal war es Mord.“6 Niemand muss das Entwicklungsstadium von Maden untersuchen, um festzustellen, wie lange jemand tot ist. Die Ermittlungsbeamten (Gendarmen, Polizisten, Wachtmeister) verfügen über keine aufoktroyierten Spleens, sie sind bodenständig – und uncool. Sie kennen ihre „Pappenheimer“. Wenn sie den Tatverdächtigen festnehmen – also im Fall, dass ein Mord überhaupt geklärt wird, und oft geht das der Bevölkerung sowieso zu langsam, umso schneller sind Treibjagden auf den vermeintlichen Täter organisiert – verspüren sie keine Genugtuung.
Wer beim Lesen darauf hofft, dass die Protagonist/inn/en aus diesen Strukturen ausbrechen, hofft umsonst. Befreiung scheinen nur die aus dem Weg-Geräumten zu finden. Die anderen bleiben in fester dörflicher Umklammerung. Wer beim Lesen darauf hofft, dass die Welt eine gerechtere wird, weil jemand Zivilcourage zeigt, hofft ebenfalls umsonst. Die letzte Seite ist gelesen. Was bleibt, ist ein Gefühl der Beklemmung.
PS: Zugegeben, drei Werke machen noch keinen literarischen Brennpunkt – auch nicht im häuslichen Bücherregal. Und vier? Letztens gesellte sich Walter Wippersbergs „Die Irren und die Mörder“ dazu. Auch hier: no happy end im braunen Dunstkreis: „Ihren Mörder wir man lange, aber vergeblich suchen.“7
PPS: Einige Bekannte haben „Die Wolfshaut“, „Das Buch gegen Nazis“, „Ausapern“, „Die Irren und die Mörder“, LTI“ und „Blausprech“ aus dem heimischen Bücherregal genommen und ausgeliehen. Es scheint, als wäre aus dem schwer dingfest zu machenden Brennpunkt so etwas wie ein Lauffeuer geworden …
1: Peter Matejka: Der Halbmond von Gagging. Eichbauer, Wien 2000, S. 29.
2: Lina Hofstädter: Ausapern. Limbus, Hohenems 2007, S. 230.
3: Lina Hofstädter: ebd., S. 262.
4: Peter Matejka: Der Halbmond von Gagging. Eichbauer, Wien 2000, S. 27.
5: Peter Matejka: ebd. S. 27.
6: Hans Lebert: Die Wolfshaut. Neuer Europa Verlag, Leipzig 2008, S. 224.
7: Walter Wippersberg: Die Irren und die Mörder. Otto Müller Verlag, Salzburg, Wien 1998, S. 184.