Es kommt wie es kommt
© Petra Öllinger
erschienen in evolver, April 2003
Die Mutter hat Krebs, die Tante ist seit der Kollision mit einem Elch in der Irrenanstalt, der Bruder nimmt kaum teil am Familienleben. Dann nahen auch noch Ferien in Genezareth, so der Name des Sommerhauses am See, mit Edmund und seinen sechs Zehen. Und dann kommt es wie, es kommt. Am Ende des Schuljahres taucht die Hilfslehrerin Ewa Kaludi auf, die eigentlich wie Kim Novak aussieht und nie im See, der eigentlich Möckeln heißt, badet. Stattdessen beginnt sie in den Ferien eine Affäre mit Eriks Bruder Henry, taucht mit blau geschlagenem Auge und kaputter Lippe im Ferienhaus auf und verliert ihren Verlobten. Der wird eines Tages aufgefunden – erschlagen. Dem schwedischen Krimiautor Håkan Nesser gelingt es durch die Sprache, Empfinden und Erleben eines 14-Jährigen nachfühlbar zu machen – Bootsfahrten, Stegbauen, Radfahren, Oberst Darkin, Räsonieren über Krebs-Treblinka-Liebe-Bumsen-Tod, nächtliches Beobachten der nackten Ewa Kaludi mit anschließender Masturbation. Keine Psychologisierung – weder des Täters noch des Opfers. Die Frage, wer die Tat begangen hat, tritt zunehmend in den Hintergrund. Es kam, wie es kam… Stattdessen gerät man beim Lesen rasch in den Zauber eines Jugendsommers. Unsentimental, lakonisch, aber auch liebevoll und witzig. Gegen Ende des Buches meldet sich der erwachsene Erik zu Wort und auch hier schafft Nesser den Sprung – sprachlich – und jenen in schwedische Schulklassen, wo Kim Novaks Nicht-Bade-Ausflug bereits als Lektüre in SchülerInnenhände ist.
Håkan Nesser, Kim Novak badete nie im See von Genezareth. btb Verlag, 2003